Der 8-jährige Junge sieht sich alles so ernsthaft an. Mein erster Impuls war daher, ihn lieber weiterzuschicken. Doch die Kinder sind neugierig zu erfahren, was das maßstabsgetreue Modell abbildet.
Eine geplante Autobahn. In unmittelbarer Nähe zu dem Ort, wo sie leben und zur Schule gehen. Und
dann schreibt er sehr langsam und konzentriert auf einen Bogen, was er nicht gut findet: „Zufile autos,
file schtaus“.
Die A 1 kennt er bereits, sie liegt in Sichtweite. Diese Ernsthaftigkeit hat mich angerührt. In seiner
Grundschule gehören die Kinderrechte zum Standardlernprogramm. Viele der Kinder in Kirchdorf
Süd ergründen in der Schule meistens erstmals, welche Rechte ihnen zustehen. Wohl deshalb empören
sich drei 15-jährige Mädchen. Sie haben bisher von den Autobahnplänen nichts gehört und fordern
uns nun auf, wir sollten sofort mal in ihre Stadtteilschule kommen, um alle darüber zu informieren.
Dass das nicht so einfach gehe, weisen sie energisch zurück.
Das Recht auf ausreichende Information ist ebenfalls in der Kinderrechtskonvention der Vereinten
Nationen von 1989 verankert. Kindern und Jugendlichen wird zugetraut, selber zu denken und sich
eine Meinung zu bilden. Und sollte ihre Meinung den Vorgaben von Großprojekten widersprechen, ist
sie trotzdem ernst zu nehmen. Zur Verwunderung vieler können in Deutschland Kinder ab 7 Jahren
offiziell Stellung beziehen und sich einmischen. Und jede einzelne Einwendung muss – wie jede erwachsene Einwendung auch – beantwortet, d. h. „erörtert“ werden.
Warum ich das heute hier schreibe? Die Reaktionen auf die kundgemachten Meinungen der Kinder
haben mich erschreckt. „Kinder werden instrumentalisiert“ oder „Betroffenheitsmasche“ oder eher
milde abbügelnd „Wir nehmen es zur Kenntnis“. Kinder können so unbequem sein. Sie benennen ungeniert
die Folgen für sich und legen damit den Finger in eine Wunde.
Die Kinderrechtskonvention ist jung, keine 30 Jahre alt. Viel älter dagegen ist, was Jesus den Menschen seiner Zeit über die Weisheit der Kinder sagte (Matthäus 19,14): „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Und Jesus segnete die Kinder.
Auch veröffentlicht im Hamburger Abendblatt in der Rubrik: „Gott und die Welt“, HA 29.4.2017 – Seite 14
Foto und Text mit Genehmigung der Verfasserin.
Anmerkung der Redaktion:
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: warum haben Hamburg und die Bezirke Harburg und Mitte nichts getan, um Kinder und Jugendliche zu der Planung dieser Zerschneidung des Stadtteils, die ihre jetzigen und künftigen Interessen so stark berührt wie wenig andere Themen, zu beteiligen?
Das Bezirksverwaltungsgesetz z.B. ist Gesetz und keine Empfehlung:
„§ 33 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
Das Bezirksamt muss bei Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Hierzu entwickelt das Bezirksamt geeignete Verfahren.“